Seltene Erkrankungen – ÖGKJCH

Seltene Erkrankungen

In den letzten Monaten gab es eine umfassende Diskussion zum Thema „Seltene Erkrankungen“ und deren Versorgung in Österreich. Natürlich muss unser gemeinsames und oberstes Ziel sein, unsere kinder- und jugendchirurgischen Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen, insbesondere, wenn es sich um Einzelfälle handelt. Die Politik und auch die Elternvertreter fordern eine Konzentrierung der seltenen Fälle auf wenige spezialisierte Zentren. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Mit der Fallzahl steigt die Qualität und verbessert sich das Outcome. In Bezug auf seltene Erkrankungen in Österreich ist die Angelegenheit jedoch etwas komplexer: Selbst, wenn alle seltenenErkrankungen auf wenige österreichische Zentren konzentriert werden, bleibt die jeweilige Fallzahl gering. Österreich (im Gegensatz zu Deutschland) hat ohnehin nur insgesamt sieben Abteilungen bzw. Kliniken für Kinder- und Jugendchirurgie. Daher kann nicht die Fallzahl alleine ausschlaggebend sein, sondern es geht auch um die Strukturqualität: Wie hoch ist die generelle Zahl an operativen Eingriffen, wie ist die Nachsorge organisiert, wie ist die Vernetzung mit anderen Abteilungen, welche Fachdisziplinen stehen am jeweiligen Standort zur Verfügung, wie steht es um die wissenschaftliche Aufarbeitung, etc. Natürlich gibt es möglicherweise den einen oder anderen Standort in Österreich, der sich in den vergangenen Jahren intensiver mit einer seltenen Erkrankung auseinandergesetzt hat als andere und ein hohes Fachwissen aufgebaut hat. Da es jedoch keine standardisierte und transparente Dokumentation der Behandlungsergebnisse gibt, ist ein Vergleich der Abteilungen derzeit vollkommen unmöglich – wir reden aktuell, wenn mir der Vergleich gestattet ist, wie ein „Blinder über die Farbe.“

Die einzige Lösung für dieses Dilemma ist eine neutral geführte Datenbank mit „unbeeinflussbaren“ Daten. Diese Daten können somit nur von Seiten der Sozialversicherungsträger stammen, da hier die echte Fallzahl, die Zahl von Reoperationen, Todesfällen, die Aufenthaltsdauer, allfällige Wiederaufnahmen etc. registriert werden. Die Beurteilung dieser Zahlen ist nicht einfach und muss der kinder- und jugendchirurgischen Fachgesellschaft vorbehalten bleiben – keiner sonst kann entscheiden, ob es sich beispielweise um einen fehlbildungsbedingten Routine-Zweiteingriff handelt oder um die Behandlung einer eventuell vermeidbaren Komplikation.

Ein großes Datenbankprojekt, eingebettet in einen europäischen Kontext halte ich (aktuell) persönlich für weder zielführend noch für sinnvoll durchführbar. Ein derartiges Projekt würde Unsummen an Geld verschlingen und der Wissensgewinn für die österreichische Krankenhauslandschaft wäre marginal. Natürlich ist es wünschenswert, unsere Ergebnisse international zu vergleichen, allerdings in einem zweiten Schritt. Zunächst müssen wir unsere Hausaufgaben machen, und zwar Schritt für Schritt.

Daher hat die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendchirurgie, als Konsequenz des 10. Nationalen Kongresses für Seltene Erkrankungen (November 2019 in Salzburg), Kontakt mit der Gesundheit Österreich GesmbH aufgenommen und einen ersten Vorstoß zur Schaffung einer Datenbank unternommen. Zunächst sollen 4 typische seltene Fehlbildungen, die unmittelbar in der Neugeborenen-Periode operiert werden müssen, retrospektiv untersucht werden, um die Datenqualität bzw. Verfügbarkeit der Daten einschätzen zu können. Darüber hinaus müssen Fragen des Datenschutzes, der Zugriffsrechte etc. geklärt werden.

Aktuell sind wir auf einem guten Weg – es gab schon ein Treffen in Wien, ein weiteres folgt in Kürze. Ich persönlich rechne nicht mit Ergebnissen vor dem Herbst – aber wenn es überhaupt zu ersten Ergebnissen kommen würde, dann wäre das schon ein sensationeller Erfolg im Sinne unserer kleinen Patientinnen und Patienten und mehr, als wir jemals vorzuweisen hatten.

Und wenn es uns dann gelingen würde, auf der Basis dieser ersten Ergebnisse eine finanzielle Unterstützung zu bekommen, dann könnte vielleicht tatsächlich eine prospektive Datenbank erschaffen werden, es könnten Studienzentralen entstehen, die Behandlung würde standardisiert und wissenschaftlich begleitet überall nach den gleichen Kriterien beurteilt und behandelt werden. Dann wäre uns allen ein großer Wurf gelungen. Hier wäre dann auch die Mitwirkung der Patientenorganisationen, der Wirtschaft und auch der Regierung gewünscht und erforderlich, um die entsprechenden Mittel aufzutreiben – ich rechne mit einem ungefähren Finanzierungsbedarf von 200.000 Euro pro Jahr für die Schaffung, Befüllung und Analyse einer „Österreichischen Datenbank für seltene Erkrankungen“

Ich möchte allen Beteiligten zu ihrem Engagement gratulieren, bitte aber auch um Geduld: Wir müssen dieses Pflänzchen vorsichtig gießen, damit es wächst: In der Vergangenheit ist es zu oft passiert, dass persönliche Interessen die aufgehende Saat niedergetrampelt haben und letztlich viele gute Ansätze im Keim erstickt wurden. Daher werde ich mich in meiner Eigenschaft als Präsident der ÖGKJCH bemühen, diese Saat zu behüten und zu pflegen.

J. Schalamon, Präsident der ÖGKJCH